Quarks Moderatorin Mai Thi Nguyen-Kim

Von großen und kleinen Heuchlern

"Umweltschutz und warum Lügner manchmal besser sind als Beratungsresistente" – über den Auftritt von Mai Thi Nguyen-Kim beim Sience Slam in Berlin

Kevin hat Plastikmüll in den Wald geschmissen. Darauf angesprochen, sagt er: Nö, das habe ich nicht gemacht. Auch Klaus hat Plastikmüll in den Wald geschmissen. Dabei ist Klaus in Sachen Umweltschutz unterwegs. Zumindest verkündet er regelmäßig und öffentlich: „Umweltschutz ist das Allerwichtigste.“ – Wer ist aus Deiner Sicht schlimmer: Kevin der Lügner? Oder Klaus der Heuchler?

Mai ist Chemikerin…

Quarks Moderatorin Mai Thi Nguyen-Kim

… und auch noch promoviert. Aber keine Angst sie hat schon lange vor ihrem Doktortitel mit dem YouTuben begonnen und moderiert seit Mai 2018 die WDR-Sendung Quarks. Sie möchte vor allem von der breiten Masse verstanden werden und aufräumen mit dem Image des Naturwissenschaften-Nerds. Das gelingt ihr super. Denn Mai ist nicht nur intelligent, sondern auch cool, witzig, eine hervorragende Tänzerin und Performerin.

Mai beleuchtet Themen aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und Blickrichtungen. Für das oftmals junge Publikum eröffnen sich dadurch neue Perspektiven. Und auch beim Thema Umweltschutz, dem sie sich auf dem Science Slam in Berlin über die Psychologie nähert, ist der Aha!-Effekt garantiert.


Foto + Header Foto: Mai Thi Nguyen-Kim ist seit Mai 2018 Moderatorin beim Wissensmagazin Quarks. / © WDR/Linda Meiers 
 

Donald Trump und der Danning-Kruger-Effekt 

Der Danning-Kruger-Effekt beschreibt die verzerrte Wahrnehmung bei inkompetenten Menschen, die ihre eigene Kompetenz überschätzen. Oder mit den Worten Mais: „Wenn Leute einfach zu dumm sind, um zu merken, dass sie dumm sind.“ 

Während sich der Papst und die ganze westliche Welt einig sind, dass wir CO2 reduzieren müssen, steigt Donald Trump aus dem Pariser Klimaabkommen aus. Wir leben also in einer Zeit, in der es Wissenschaftler*innen leichter gelingt, den höchsten geistlichen Würdenträger der Katholischen Kirche zu überzeugen als den Präsidenten der USA! – Aber meint Donald wirklich alles so, wie er es sagt? Das wissen wir nicht, denn der Kollege ist der größte Heuchler. 

Apropos Kollege. „Wir sind doch alles Heuchler“, sagt Mai. „Psychologisch gesehen ist Heuchlerei ähnlich dem Danning-Kruger-Effekt: Wir haben hier einen Widerspruch zwischen dem, wie ich mich sehe, und wie ich meine Mitmenschen sehe. Also: Als Heuchler setze ich meinen Mitmenschen viel höhere Standards auf, als ich selber erfüllen kann.“ 

Heuchler*innen Beispiele

  • Ein Politiker setzt sich für Umweltschutz ein, fliegt aber mit dem Privatjet durch die Welt.
  • Eine Instagrammerin ist überzeugte Veganerin, liebt aber Lederschuhe.
  • Mai setzt sich dafür ein, dass Frauen nicht nur für ihr Aussehen, sondern auch für ihr Gehirn respektiert werden. Trotzdem klimpert sie bei ihrem Science Slam mit aufgeklebten Wimpern. 

Psychologen haben herausgefunden: Wir finden, Heuchler ist das Schlimmste, was man so sein kann. – Und sie sind total fasziniert davon.

Zurück zu Kevin und Klaus

Wir finden Klaus den Heuchler schlimmer als Kevin den Lügner. Wir verachten Heuchler geradezu. Aber – und jetzt leitet Mai den angekündigten Blickwechsel ein: „Wenn man ganz rational darüber nachdenkt, ist Heuchelei völlig irrelevant.“ 

Aus unseren Augen betrachtet, regen wir uns nicht deswegen so über Heuchler auf, weil sie unmoralisch handeln. Wir regen uns nicht über Klaus auf, weil er Plastikmüll in den Wald geschmissen hat. Wir regen uns auch nicht auf für den Wald oder die Umwelt. Wir regen uns vor allem darüber auf, „dass dieser Pisser sich besser darstellt als er eigentlich ist.“ 

Heuchlerei ist völlig irrelevant

Auch Jerome, der Dritte im Bunde, hat Plastikmüll in den Wald geschmissen. Darauf angesprochen, sagt er: Ja, hab ich gemacht! Ich steh dazu. Ich hab’s halt nicht so mit der Umwelt. – Wie finden wir jetzt Jerome? Eigentlich okay, oder? Wenigstens ist er ehrlich. 

„Aber das ist dem Wald doch völlig egal, ob Jerome ehrlich ist oder nicht.“ 

Weil wir immer nur an uns selbst denken, finden wir den Heuchler am Schlimmsten, dann den Lügner, dann den ehrlichen Übeltäter. Fakt aber ist: Da liegt Müll. 

Aus Sicht des Waldes betrachtet, müssten wir sagen: „Klaus es nervt, dass du so ein Heuchler bist, aber wenigstens machst Du Dich prinzipiell für den Umweltschutz stark. Kevin, es ist zwar uncool, dass du lügst, aber wenigstens scheinst Du zu wissen, dass Du etwas falsch gemacht hast. Sonst würdest Du ja nicht lügen. Und Jerome, der einfach ehrlich zugibt, auf den Wald zu scheißen, zu dem müssten wir eigentlich sagen: Fuck you, Jerome!“

Nachhaltig handeln ist sauschwer

Warum sonst die ganze Heuchelei? Im Herzen bin ich Fairtrade, aber meine Jeans kaufe ich bei Primark, weil sie dort soooo billig ist. Diese Heuchelei sagt vor allem eins: Das richtige zu tun, ist einfach nicht leicht. Weil: 

  • uns die Disziplin fehlt
  • uns die Motivation fehlt 
  • wir Egoisten sind
  • wir dumm sind

Und genau weil das nachhaltige Handeln so sauschwer ist, sind Dinge wie das Pariser Klimaabkommen so wichtig. Sie zwingen uns gemeinsam und gegenseitig zu konkretem Fortschritt! 

Mais finale Botschaft in ihrer Performance lautet daher: Es bringt nichts, wenn wir uns wie „kleinliche Motherfucker“ gegenseitig beschuldigen. Lasst uns gemeinsam unser Bestes geben und uns gegenseitig dabei helfen.

Links – mehr von Mai findest Du unter:

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